Dreitagesfiktion: Wie lange kann ein Einspruch zurückgenommen werden?
Wer gegen seinen Steuerbescheid Einspruch einlegt, muss mitunter damit rechnen, dass das Finanzamt den ursprünglichen Steuerbescheid daraufhin zu seinen Ungunsten ändert ("Verböserung"). Um das zu verhindern, können Steuerzahler den Einspruch zurücknehmen.
Wenn das Finanzamt einen Brief verschickt, gilt dieser mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als zugegangen ("dreitägige Zugangsfiktion" oder auch "Dreitagesfiktion"). Das Finanzgericht Niedersachsen (FG) ist der Frage nachgegangen, ob ein Einspruch am Tag der Bekanntgabe der verbösernden Einspruchsentscheidung auch außerhalb der Dreitagesfiktion wirksam zurückgenommen werden kann.
Im Streitfall hatten die steuerlichen Berater des Klägers - nachdem das Finanzamt vorher eine Verböserung angedroht hatte - den Einspruch am 22.10.2019 zurückgenommen. Das Fax war um 18:57 Uhr beim Finanzamt eingegangen. Daraufhin wies das Finanzamt den Kläger auf die vermeintlich zuvor erfolgte Bekanntgabe mit Ablauf des drittens Tages nach der Aufgabe zur Post (21.10.2019) und die Unwirksamkeit der Rücknahme hin. Die steuerlichen Berater konnten jedoch nachweisen, dass die Einspruchsentscheidung tatsächlich erst am 22.10.2019 in ihrem Büro eingegangen war. Der genaue Eingang der Einspruchsentscheidung (Stunde, Minute) ließ sich nicht feststellen. Das Finanzamt ging jedoch davon aus, dass der tatsächliche Zugang der Einspruchsentscheidung jedenfalls vor dem Eingang der Rücknahme erfolgt sein müsse. Aufgrund dessen lehnte es eine Aufhebung der Einspruchsentscheidung ab.
Das FG hat der Klage stattgegeben. Eine Rücknahme des Einspruchs zur Vermeidung einer verbösernden Einspruchsentscheidung sei auch dann noch bis zum Ablauf des Bekanntgabetages wirksam, wenn der tatsächliche Zugang außerhalb der Dreitagesfrist erfolge. Nach dem Gesetz könne der Einspruch "bis zur Bekanntgabe der Entscheidung über den Einspruch" zurückgenommen werden. Laut FG ist damit der Ablauf des Tages des tatsächlichen Zugangs gemeint. Auf die genaue Uhrzeit während des Tages komme es nicht an. Eine solche praktisch nicht handhabbare Gesetzesauslegung könne nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprechen. Auch bei einer förmlichen Zustellung werde auf dem Umschlag in der Regel nur das Zustellungsdatum vermerkt. Selbst in der Postzustellungsurkunde werde die Uhrzeit nur auf besondere Anordnung der Geschäftsstelle aufgenommen.
Hinweis: Da das Finanzamt Revision eingelegt hat, wird der Bundesfinanzhof nun das letzte Wort haben.
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(aus: Ausgabe 12/2021)